Am 3. Dez. wurde außer der kirchlichen Feier das St. Lucienfest ziemlich still begangen. Wohl waren hier und da Gäste zu sehen, aber das Ganze hatte doch infolge der Kriegszeit ein mehr ernstes und stilles Gepräge. Es wurde mir erzählt, dass Johann Niehsen aus unserem Orte an seine hier noch wohnende Mutter geschrieben habe aus Rußland. Niehsen dürfte schon in den vierziger Jahren stehen und war mit anderen Altersgenossen von Aachen nach Rußland beordert worden.
Am 14. (1914), dem Lucienmontag, fuhren mein Bruder Mathias, Schwager Paul, Vetter Josef Niehsen und ich nach Elsenborn, um Josef in seinem neuen Stande zu sehen und zu besuchen. Gegen 1/2 11 Uhr kamen wir im Lager an. Nachdem wir uns in einer Kantine an Speise und Trank gelabt hatten, suchten wir uns zunächst Baracke 62, wo Josef kampierte. Da das Militär zu Felddienstübungen ausgerückt war, so trafen wir ihn nicht an, erfuhren aber, dass die Soldaten vor 12 Uhr zurück kämen. Während dieser Zeit wollten wir uns das Lager mal ansehen. Noch garnicht weit gekommen, stellte uns schon ein Gendarme zur Rede. Er verlangte unsere Papiere zu sehen. Glücklicherweise hatten wir unsere Pässe bei uns und uns auch beim Eintritt ins Lager mit einer Lagerkarte versehen. Das müssen Sie sich schon gefallen lassen, sagte der Wachtmeister. Es laufen nämlich viele Franzosen hier in Deutschland herum, die mit Papieren von gefallenen deutschen Soldaten ausgerüstet sind und betreiben auf diese Weise Spionage. Darum sei besonders an solchen Stellen wie hier die größte Wachsamkeit geboten. Damit konnten wir weiter gehen. Draußen auf einer Anhöhe sahen wir schon, wie ein Trupp Soldaten Felddienstübungen machte. Dahin gehen durften wir nicht. Eine Kompanie kam auch schon heimwärts gezogen, andere folgten. Bald kamen sie von allen Seiten, muntere Marschlieder singend, zum Lager zurück. Wir stellten uns an eine Kreuzung des Weges um nach dem Bruder Ausschau zu halten. Da, endlich bei einer der zuletzt einrückenden Companien entdeckten wir ihn. Strammen Schrittes kam er heran und winkte uns freudig zu. Nachdem die Compagnie sich aufgelößt hatte, nahm Josef uns mit in seine Bude. Hier erzählte er uns alle seine Erlebnisse von Cöln, Düren und Elsenborn. Wir freuten uns über seinen guten Mut und gesundes Aussehen. Dann tat er dem von uns mitgebrachten Gebäck alle Ehre an. Hierauf rief der Unteroffizier zum Essen holen. Es gab heute Graupensuppe mit Speck. Auch wir probierten mal an dieser Soldatenkost und fanden das Essen garnicht übel. Derweil war auch der Unteroffizier Mathias Brüll, ein Schulkamerad meines Bruders, zu uns gekommen. Da derselbe zur Zeit ebenfalls in Elsenborn stand und bei einer anderen Compagnie mit an der Ausbildung der neuenMannschaft betätigt war, so hatte er Josef schon öfters getroffen. Da erstum 1/2 3 Uhr wieder angetreten wurde, so verbrachten wir sowie einige von Josefs besten Kameraden eine gemütliche Stunde beim Glase Bier. Dann zogen die sämtlichen Compagnien wieder zu einer nachmittäglichen Übung aus. Wir beobachten diese vom Lager aus so gut es ging und fanden die Sache richtig interessant. „Lieb Vaterland magst ruhig sein.“ Diese Worte des Liedes fielen einem immer wieder ein, wenn man bedachte, dass trotz der Millionenheere von uns, die das Banner des Sieges weit in Feindesland getragen, wir auch noch mit einer solchen Masse von Reserven ausgerüstet sind, wie wir ja hier sahen. Wie uns gesagt wurde, sollten zur Zeit in Elsenborn so 9.000 Mann liegen. Und wie hier, sei es auch in allen deutschen Garnisonstädten und Übungsplätzen.
Gegen 5 Uhr abends, als es zu dunkeln begann, da kamen die Mannschaften wieder herangerückt. Einige davon machten im Lager noch eine kleine Probe von Wendungen und Gewehrgriffen. Wir gingen wieder mit Josef in seine Stube. Von 1/2 6 bis 1/2 7 Uhr war noch Putzstunde angesagt worden; darum zogen wir es vor, uns in eine Kantine zurückzuziehen. Math. Brüll kam auch dahin und bald auch Josef mit seinen Kameraden. Leider verging die Zeit gar zu schnell und um 7 Uhr mußten wir uns von den neuen Vaterlandsverteidigern verabschieden und zum Bahnhof gehen. Beim Abschied wurde beidseitig die Hoffnung ausgedrückt, dass wir uns bald im Weihnachtsurlaub wiedersehen möchten. Ob es überhaupt Urlaub gibt?
Heute mußte auch Johann Förster, Buschgasse, sich in Montjoie stellen und wurde nach Düren beordert. Der mit ihm Ausgehobene, Mathias Carl, wurde infolge Krankheit seiner Mutter nochmals zurück gestellt. Arnold Jansen war zur Artellerie gezogen und hatte noch keinen Befehl erhalten. Von Hammer vernahm ich, dass Johann Arnolds, der in Frankreich stand, an Typhus erkrankt und im Lazarett zu Rhetel gestorben sei. Das war also der 5 te Tote unserer Gemeinde. Am 15. (Dez.1914) kam unangemeldet Johann Schröder hier an. Er hatte in Frankreich mit in den vordersten Reihen gelegen und war abkommandiert worden, um in Aachen Weihnachtsgaben für die Truppen in Empfang zu nehmen. Er war mit dem Eisernen Kreuze ausgezeichnet worden und trug es siegesfroh am Busen. Hatte in Aachen 4 Tage Urlaub erhalten. Heute war auch Exequ.-Amt für Joh. Arnolds aus Hammer. Der Kriegerverein sowie die hier weilenden Krieger beteiligten sich daran. Auch der Kirchenchor erfüllte seine Aufgabe wieder wie bei den früheren Fällen. Wann mag es uns vergönnt sein, das letzte feierliche Requiem einem gefallenen Krieger zu singen? Gebe Gott, wir hätten es bereits getan.
Am 16. Dez. (1914) wurde mir gesagt, dass auch Math. Wynands an Typhus erkrankt sei und im Lazarett Rethel liege. Hoffen wir mit der besorgten Mutter und den Geschwistern, dass die Krankheit gut verläuft. Am 17. hörte man nochmal aus westlicher Richtung Kanonendonner. Ob unsere 42 ziger wieder an der Arbeit sind?. Dann dürfte es aber bald Luft geben, da in der Gegend von Galois herum dann Flugs nach England hinein. Auch am 20./21. und 22. (Dez. 1914) hörte man mehr südwestlich eine fast ununterbrochene Kanonade. Sogar, wenn es längst dunkel war, wurde noch geschossen. Der Richtung gemäß muß es da unten im Elsaß sein, wohl bei Mühlhausen und Tann; wahrscheinlich sind die unserigen mit der Besatzung von Belfort aneinander geraten. Die Luft war besonders am 22. klar und rein, wodurch man das Schießen sogar im Hause hören konnte. Diesem alle zufolge muß es eine große Schlacht sein, die dort im Gange ist. Mal abwarten, was nächste Tage die Zeitung bringt.
Am 20. Dez. war Generalversammlung vom Consumverein. Trotz der misslichen Geschäftslage der letzten Zeit kamen dennoch 12 % Dividende zur Verteilung. U.a. war auch die Petroleumsfrage auf der Tagesordnung. Aus der Versammlung sollten Vorschläge gemacht werden, wie die Notlage gesteuert werden könnte. Da war aber guter Rat teuer. Mehr davon beschaffen konnte keiner und so kam man zum Schluß überein, dass im Geschäft an jedes Mitglied Petrol verteilt werden sollte wie bisher. Jede größere Haushaltung bekam ungefähr jeden Monat 4 Liter, kleinere oder solche, die umständehalber nicht soviel nötig hatten, nur 2 – 3 Liter. Handwerker dann nochmal 1 – 2 Liter extra. Es mußte also weiter gespart werden und mancher saß abends, seine Zeitung lesend beim Schein einer Kerze. Es wurden nämlich in dieser Zeit viele Tageszeitungen gehalten wegen der Neuigkeiten vom Kriegsschauplatz. In unserem Ort kamen so ca. 60 Exemplare vom Aachener Volksfreund. Aber auch noch manch andere Zeitung. Gestern kam auch Mathias Scheid wieder von Köln zurück, hatte nochmal Urlaub bekommen. Seine erschütterten Nerven hatten sich aber schon bedeutend gebessert.
Teures Schuhwerk. Den größten Preisaufschlag in den letzten Monaten hat wohl das Leder erhalten. Ein Schuster von hier erzählte mir, dass das Leder immer noch teurer würde. Schon im Oktober hätte er für das Pfund 5 Mk bezahlen müssen, wogegen es sonst nur 2,50 bis 2,80 Mk gekostet hätte. Jetzt aber würde einem nicht weniger als 7,50 Mark für das Pfund gefragt. Er hätte infolge dessen von Simmerath kein Leder mitgebracht, da man nicht wissen könnte, ob die Kunden bereit seien, 20 und mehr Mark für ein Paar Schuhe zu zahlen und darunter könne er solche nicht mehr machen. Da werden wir wohl bald auf Holzschuhen herumlaufen müssen. Vom Herrn Pastor wurde mir gesagt, dass auch der Studiosus Josef Kaulard (Kuhl) einberufen worden sei.
24. Dez. (Heiligabend-1914). Trotz Abschreibens kam heute Abend Bruder Josef von Elsenborn auf einen Tag Urlaub. Auch Mathias Brüll (Unteroffizier) kam mit ihm. Sie waren in letzter Stunde noch direkt zum Hauptmann gegangen und hatten sich den einen Tag Urlaub zu erwirken vermocht. Josef unterstützte uns am Weihnachtstage im Chörchen (Kirchenchor) und mußte leider um 4 Uhr schon wieder abschieben. Im Kriege gibt es leider kein Nachsehen, so dass selbst an diesem hehren Feiertage der Dienst nicht ausfallen durfte.
25.Dez. Wie war denn nun das Weihnachtsfest im Kriegsjahre? So werden wohl die nachkommenden Generationen fragen. Ja wie wars? Nicht gerade wie sonst. Bei aller Festtagsstimmung lag es doch wie ein leichter Druck auf einem jeden. Wie konnte man sich auch recht freuen, wenn auch in der Kirche im Lied die Worte: „Engel erscheinen verkünden den Frieden, Friede den Menchen wer freuet sich nicht“ gesungen wurde, so war’s einem doch dabei als müßte man mitten im Worte abbrechen und sagen: Lasst uns lieber aufhören, diese erhabenen Worte passen in die heutige Welt voll Haß und Feindschaft nicht hinein. Im übrigen verweise ich auf die Zeitungen vom 24. Dez., wo die Stimmung des Volkes am Kriegsweihnachtsfeste so schön geschildert wird. Will nämlich alle Zeitungen seit Beginn des Krieges zusammen heften und aufbewahren.
Der Schneidermeister Math. Hüpgens von hier war von Koblenz, wohin er bei Ausbruch des Krieges beordert wurde, auf Urlaub gekommen. Er erzählte, dass sie dort fortwährend feldgraue Uniformen und Mäntel anfertigen. Es seien da nicht weniger als 2.700 Militätschneider beschäftigt und außerdem noch 1.500 Schuster. Diese Zahlen scheinen einem bald etwas übertrieben und doch versicherte Hüpgens, dass es genau so sei und dass dieses Heer von Handwerkern nur dem Achten Armeechor liefere. Folglich würden wohl jedes Armeechor ein solches Handwerkerregiment haben. Das feldgraue Tuch käme mit ganzen Zugladungen an und würde mit elektrisch betriebenen Maschinen zugeschnitten. In dem Saale, wo er arbeitet, stünden über 100 Nähmaschinen. Das heißt wirklich Großbetrieb, so dass man sich gar keine rechte Vorstellung davon machen kann. „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“.
Jung-Deutschland, so nennt sich auch hier eine Truppe junger Burschen, welche sich um den Hauptmann des Kriegervereins, Johann Förster, zusammen geschart haben und fast jeden Sonntag einige Stunden üben und exerzieren, um sich höherer Weisung gemäß für den künftigen Heeresdienst auszubilden. Die kleine Kolonne, es mochten wohl ca. 30 Mann sein, begegneten mir eben und ich muß gestehen, dass sie einen strammen schneidigen Eindruck machten. Lieb Vaterland magst ruhig sein.
28.Dez. Vernahm heute, dass der schon früher verwundete Andreas Kessel aus Huppenbroich wieder schwer verwundet sei und im Lazarett liege. 29.Dez.- Hörte heute, die älteren Landwehrleute Heinrich Förster (Wirt), Martin Heinrichs, Hubert Kaulard, Stollenwerk/Briefträger, Martin Offermann und Johann Arnolds von Hammer und der im August verwundete Leonhard Kaulard seien von Köln, wo sie seit einiger Zeit gestanden, nach Frankreich zur Front abgegangen.