Der Krieg kommt näher – Evakuierung von Eicherscheid

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Die anfängliche Zustimmung und Euphorie im Ort durch die Erfolge der Wehrmacht wich nach und nach, die Skepsis und Ablehnung in der Bevölkerung wird im Verlauf des Krieges immer größer; insbesondere auch mit der Realität der größer werdenden Zahl der gefallenen Soldaten. Die wesentlichen Meilensteine zum Kriegsverlauf sind im nachfolgenden Kapitel 5 „Chronologie“ zusammengefaßt.

Seit Mitte 1944 war vielen klar, dass der Krieg in einigen Monaten auch in voller Härte und tödlicher Konsequenz unsere Region erreichen würde. Im September 1944 wurden die ersten Orte des Monschauer Landes von den Amerikanern besetzt (s. vor). Aachen wurde im Oktober 44 eingenommen; doch es sollten doch noch Monate der Angst und des Schreckens im Kriege vergehen. Im September 44 hörte man auch in Eicherscheid das erste ferne dumpfe Kanonen-Gedonner.

Bis zum Samstag, 02.09.1944, war noch geregelter Schulbetrieb. Das sollte sich schnell änderen. Am 03.09.44 kam plötzlich der Befehl zur Räumung der Schule. „Bänke und Tafeln wurden in einer Scheune unweit der Schule untergestellt. Die beiden Klassenräume wurden nun für Schanzarbeiter hergerichtet. Nach einigen Tagen trafen die Jungen ein. Es war Kölner Jugend, größtenteils Schulkinder, mürrisch und unfroh, zu einer so gefährlichen Arbeit heran gezogen zu werden. In früher Morgenstunde zogen sie zum Schanzen (Aushebung von Schutzgräben für die Soldaten bzw. Bau eines Panzergrabens) in Richtung Höfen aus; die Eicherscheider fünfzehn- und sechzehnjährigen Jungen (Jahrgänge 1928/29) mußten sich anschließen. Bald kamen die ersten Tiefflieger mit Feuergarben Richtung Schanzarbeiter und forderten die ersten Todes-Opfer. Besorgte Eicherscheider Eltern, (Anm.: Heinrich Kell, ? Scheidt u.a.) machten sich mit den Fahrrädern auf, die Söhne bei Nacht und Nebel heimzuholen“. Die Front rückte näher, so dass die Arbeiten dann auch relativ schnell eingestellt wurden. (Quelle: Schulchronik)

Eine Aufregung folgt nun der anderen: In der 3. Sept.-Woche erschien plötzlich ein deutsches Sprengkommando mit dem Auftrag, den Kirchturm zu sprengen. Der Turm war wohl Zielorientierung für die Amerikaner beim Kanonenbeschuß von Mützenich Richtung Eicherscheid. Es gab keinerlei Aufschub zum Abbau der Orgel oder der Turmuhr. Plötzlich ein Knall, eine riesige Rauchwolke und der Turm war wie „abrasiert“. Quelle Schulchronik: „Zum Glück ist nichts auf das Dach gefallen. Das Dorf hielt den Atem an; vielen Eicherscheidern blutete das Herz. Durch die Sprengung hatten besonders Orgel, Fenster und Uhr schweren Schaden genommen. Unsere Kirche, kaum 11 Jahre alt, war in wenigen Augenblicken eine halbe Ruine“.

In der Zeit wimmelte es in Eicherscheid nur so von deutschen Soldaten. Sie waren in den Häusern bei vielen Familien einquartiert. Doch die Soldaten mußten schnell weiter an den Rhein.

Den Evakuierungsbefehl und das Nahen des Krieges vor Augen, wollte das Ein-, Um-, Auspacken der wichtigsten „Habseligkeiten“ kein Ende nehmen. In die Erde damit, hatten die Soldaten empfohlen. So hatten dies wohl auch die Belgier und Franzosen zu Kriegsbeginn gemacht. Vieles wurde unter Holzhaufen, in Scheune oder Schuppen oder im Boden in Fässern, Milchkannen, Kisten etc. gut versteckt. Viele Eicherscheider haben auch ihre Karren beladen und dann das Hab und Gut in die umliegenden Wälder gebracht. Gegen Abend begann dann eine regelrechte „Völkerwanderung“ zum Wald und zu den Unterständen zu. Andere blieben zu Hause und verkrochen sich in die Keller oder nur wenige hatten die Möglichkeit, in den umliegenden 2 Eicherscheider Bunkern oder in einem gesicherten Keller der Schule Schutz zu finden. In der Nacht zum 17.09.1944 erhielt Eicherscheid den ersten feindlichen Beschuß. Die feindliche Artellerie hatte es auf die Hauptstraße abgesehen. Die meisten Einschläge gingen jedoch ins Feld bis an die angrenzenden Wälder, so die Schulchronik. Zum Glück wurde keiner verletzt; einige Kühe mußten jedoch notgeschlachtet werden. Die Angst zu einer evtl. Evakuierung war nach wie vor sehr groß.

Gegen Ende September kam neue Aufregung. Einige Viehtreiber waren gekommen, alles überflüssige Milchvieh abzutreiben. Das Dorf hielt wieder den Atem an. Die Männer liefen zusammen und erhoben Protest. Die Treiber mußten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Aber sie kamen wieder, immer wieder, bis zwei Drittel des verbliebenen Viehbestandes abgetrieben war. Ahnend was kommt, hatten vorher viele Eicherscheider von Richard Förster (Henderes) einen Teil ihres Viehbestandes für den Eigenbedarf schlachten lassen. Aber auch diese Wegnahme des Viehs ertrugen die Eicherscheider schweren Herzens, immer verbunden mit der Hoffnung, nicht evakuiert zu werden. Die Kartoffel waren natürlich um diese Jahreszeit reif. Die Angst hielt jedoch die Leute von den Feldern zurück. Zu Hause liefen jedoch die viele Vorbereitungsarbeiten für den Fall der Evakuierung, auch wenn daran keiner glauben wollte. Das ganze Dorf schlief in den Kellern (im Schulkeller waren über 70 Menschen!) bei Kerzenlicht und auf Strohlagern.

Leider kam bald die Stunde der Wahrheit, die Evakuierung („Freimachung“). Bereits am 11.09.1944 hatte das Oberkommando in Berlin die Entscheidung zur Evakuierung getroffen. Die generelle Umsetzung erfolgte über die jeweiligen Gau-Leiter; zuständig für Köln/Aachen und somit auch für uns, Gauleiter Josef Grohe. Zunächst gab es den Räumungsbefehl für die Orte/Bevölkerung westlich des Westwalls, nämlich für die „Rote Zone“ mit den Orten Roetgen, Lammersdorf, Konzen, Imgenbroich, Höfen, Simmerath. Da die „politischen Leiter“, die Nazis vor Ort, teilweise bereits geflohen waren, blieb die Bevölkerung sehr oft auf sich alleine gestellt. Die Gau-Leiter legten auch die „Entsende- bzw. die Aufnahmekreise“ fest. Die Bevölkerung der Entsendekreise Monschau und Schleiden wurde den Aufnahmekreisen Bonn/Euskirchen zugeordnet. Hieraus ergibt sich natürlich, dass viele Eicherscheider in den Regionen Rheinbach, Meckenheim, Altendorf, Zülpich etc.) evakuiert waren.

Zeitzeugen berichten, dass bereits am 07.09.1944 von den „Partei-Getreuen“ im Ort eine Evakuierung gefordert wurde. Doch die Nazis hatten die „Rechnung ohne den Wirt gemacht“. Die Eicherscheider widersetzten sich dieser Aufforderung und blieben – zunächst!

Am 15./17.09.1944 erging dann doch leider auch die offizielle Anordnung zur Vorbereitung der Räumung der „Grünen Zone“, eine Zone mit 10 km Breite ostwärts des Westwalls, also auch für Eicherscheid. „An einem sonnigen Sonntagmorgen am 08.10.1944 (lt. Schulchronik) hieß es auf einmal, die Feldgendarmerie ist da. Wir hielten wieder den Atem an. „Es tut uns leid, aber ihr müsst räumen!“. Oh weh, auch das noch! Soll uns denn nichts erspart bleiben? Wieviele Tränen mögen in diesen Tagen geflossen sein? Wir bleiben hier, wir wollen hier in der Heimat sterben!“. Aber es half nicht. Noch am selben Tag musste die erste Dorfhälfte, am Montag, den 09.10.44, die andere Hälfte räumen. Auch die Viehtreiber kamen zurück. Pfarrer Jansen hatte zum Abschied So/Mo noch trostvolle Worte in den letzten 2 Messen gefunden“.

Zeitzeugen unseres AK (Irene Nießen, Ulrich Förster, Heinrich Scheidt u. a.) berichten, dass sich die Großfamilien und Gruppen selbst organisierten und gemeinsam (nach dem Motto: „Gemeinsam macht stark“!) den schweren Weg gingen; am 1. Tag über Hammer, Dedenborn, Übernachtung z.T. in Scheunen in Einruhr und z.T. in Gemünd und weiter am 2. o. 3. Tag nach Zülpich, Kommern (Übernachtung) und dann in den nächsten Tagen nach Euskirchen, Antweiler bis an die unterschiedlichen von der NSDAP festgelegten Zuweisungsorte, wie Rheinbach, Meckenheim, Altendorf o.a. Jeweils vor Ort an den Zwischenstationen gab es Anweisungen zur Übernachtung (z.T. mit 5 und mehr Personen in einem Zimmer) und zu  weiteren Zielorten am nächsten Tag. Der schlimme Treck dauerte bis zu einer knappen Woche, und das mit Kleinkindern, Gebrechlichen oder älteren Einwohnern. Es durfte nur das Nötigste mitgenommen werden, u.a. persönliche Dinge, Kleidung, alltäglicher Hausrat, wenige Fahrräder u.ä.. Wer ein Pferd hatte, konnte sich glücklich schätzen und dies samt Karre und 2 an die Karre fest gebundene Kühe mitnehmen. Das restliche Vieh wurde größtenteils vorher von Weißrussen („Hilfswillige – Hiwi’s“ mit deutscher Uniform aber ansonsten ohne Rechte) abgetrieben und geschlachtet. Die Älteren warnten, sich nicht über den Rhein drängen zu lasen. Sie sahen die Gefahr von Brückensprengungen und dadurch eine erschwerte Rückkehr.

Während der nächsten Wochen und Monaten fuhren immer wieder jüngere Burschen und Väter mit ihren Fahrrädern nach Eicherscheid zurück um nach dem Rechten zu schauen, immer ein sehr gefährlicher Tripp. In den ersten Wochen hielten sich auch noch einige Eicherscheider widerrechtlich in den östlichen Wäldern Eicherscheid’s (Böschfeijld, Düvelsley u.a.), unter Felsübersprüngen oder anderen Behausungen auf. Am Evakuierungsort wurde gearbeitet. Man half bei den Gastgeber-Familien in der Landwirtschaft, im Gewerbe oder auch in öffentlichen Einrichtungen soweit, es ging. Schließlich war man auch auf die karge Verpflegung in den Familien vor Ort angewiesen.

Obschon der Krieg erst zum 08.05.1945 offiziell beendet wurde, wußten natürlich alle, dass die Kriegshandlungen im Altkreis Monschau bereits Anf. Februar 45 beendet waren. Zwar war weiter auch für die Rückkehr ein „Permit“ (Erlaubnis) der Besatzungstruppen notwendig, doch für viele Eicherscheider ware der Drang zur Rückkehr ungebrochen und größer; und so waren die ersten Rückkehrer trotz der formellen Vorgaben in kleinen Gruppen nach einem 2-Tages-Tripp bereits Ende März 1945 wieder zu Hause. Zitat in der Schulchronik: „Blutende Heimat, arme Heimat! Was ist über dich gekommen?“. Bittere Tränen wurden geweint. Eicherscheid, ein Bild des Grauens: Laut offizieller Schätzung ist Eicherscheid zu 80 % zerstört. 25 Häuser sind abgebrannt, 16 durch Beschuss unbewohnbar, kein heiles Dach oder geschlossenes Fenster! Von diesen 41 Häusern lagen 7 im „Hinterdorf“ und die restlichen 34 Häuser im vorderen Bereich des Ortes (Eicherscheid, Bachstraße, Buschgasse, In den Gassen, Fröschepool). Unrat durch Plünderungen und Kriegswirren bergeweise: Zerschlagene Möbel und Türen, verbeulter und kaputter Hausrat, modernde Kleidung und Bücher, Tierkdadaver uvm. Viele Eicherscheider rücken zusammen und wohnen mit größeren Familien in notdürtig hergerichteten 1-2 Zimmern. Zum Glück konnten in dieser extremen Not die Kartoffeln, die im vergangenen Herbst in den Äckern geblieben waren, jetzt geerntet werden, so dass zumindest viele Rückkehrer zunächst etwas zu essen hatten.

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