Die jüdischen Familie Kaufmann 1922 – 1939 in Eicherscheid

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Im Foto die früheren Eigentümer Fam. Junkersdorff.

Seit 1922 bis zum Beginn des 2. Weltkrieges 1939 lebte in Eicherscheid die einzige jüdische Familie des früheren Landkreises Monschau, Leo und Helene Kaufmann sowie Edith (Tochter) verh. Berg. Die Fam. Kaufmann hatte 1922 vom damaligen Bäcker und Gastwirt Junkersdorff im Zentrum von Eicherscheid (gegenüber der Kirche) ein Haus inclusive Gaststätte gekauft und diese Gastronomie auch weiter geführt. Gleichzeitig betrieb Leo Kaufmann eine Landwirtschaft sowie einen Viehhandel.

Die Familie Kaufmann war zunächst über einige Jahre im Eicherscheider Dorf- und Vereinsleben voll integriert. Dies änderte sich jedoch schlagartig nach der Machtübernahme der Nazis am 30.01.1933. Bereits im April 1933 setzten mit den Boykott-Aufrufen jüdischer Geschäfte durch die Nazis die antisemitischen Aktionen ein. Als die einzigen jüdischen Bewohner im Kreis geriet auch die Familie Kaufmann aus Eicherscheid zwangsläufig ins Visier nationalsozialistischer Hetze. Nach den 1935 von Hitler in Kraft gesetzten Nürnberger Rassengesetzen verschärfte sich die Situation nochmals heftig.

Hierzu und auch zu der in Eicherscheid wohnenden jüdischen Familie Kaufmann schreibt Lehrer Hermann Althoff – gleichzeitig NSDAP-Zellenleiter – 1935 in der Eicherscheider Schulchronik wie folgt (Text ungekürzt!):

„Damit (Anm.:Rassengesetze) ist die Judenfrage, ohne deren Lösung es keine Erlösung des deutschen Volkes gibt, in ein entscheidendes Stadium getreten. Der Punkt des Programmes der NSDAP, daß kein Jude deutscher Staatsbürger sein kann, ist damit erfüllt. Die jüdisch orientierte Weltpresse wird wahrscheinlich wieder von Judenverfolgungen usw. nach altbekannter Methode zu berichten wissen und erneut und verstärkt zum Boykott gegen Deutschland aufrufen. Mag sein, Adolf Hitler geht seinen Weg mit eiserner Konsequenz. Die Welt wird ihm einmal dankbar sein müssen, daß er es gewesen ist, der als der Staatsmann die Juden, die Schädlinge der Menschheit, in ihre Schranken zurückwies und klar und deutlich die großen Gefahren aufzeigte, die diese Rasse ihrem Gastlande  immer gebracht hat und bringen wird.

Auch für Eicherscheid hat diese Frage immerhin einige Bedeutung, da der einzige Jude des Kreises Monschau in unserem Ort wohnt und ein Kind des Juden unsere Schule besucht. Was hat allein die Anwesenheit der jüdischen Familie schon für Schwierigkeiten hervorgerufen. Trotz aller eindringlichen Aufklärungsarbeit ist es leider bis heute noch nicht gelungen, die Bewohner unseres Ortes und Kreises restlos vom Geschäftsverkehr mit den Juden fern zu halten, und dabei sind die Fälle nicht gezählt, in denen der Jude Kaufmann aus Eicherscheid die biederen Bauern des Monschauer Landes „übers Ohr gehauen“ hat. Manche wollen es immer noch nicht einsehen, dass es um mehr geht als um äussere Dinge“.

Die Schikanen im Ort, eingeworfene Glasscheiben, Hakenkreuz-Schmierereien am Haus, antisemitische Gesänge vor den Fenstern etc. sowie die Hetze in der hiesigen Presse wurden zusehends größer. Der Zeitzeuge Alois Nießen, Jg. 1927 berichtete anläßlich der Stolpersteinverlegung am 10.05.2017 aus seiner Schulzeit, dass die Jungen, bevor sie sich im Sommer zum Schulsport „Om Feijld“ auf den Weg machten, einen Umweg am Haus Kaufmann vorbei machen und Juden-diffamierende Lieder singen mußten. Auch wurden Sie vom Lehrer Althoff wiederholt aufgefordert, die Fensterscheiben am Haus Kaufmann einzuwerfen. „Es passiert euch im Nachhinein nichts“, so die zynische Ansage des Lehrers.

Erfreulicherweise gab es, wie aus den oben angeführten „kritischen“ Anmerkungen erkennbar wird, für die Kaufmann’s auch in dieser Zeit noch Unterstützung aus derEicherscheider Bevölkerung und dies trotz eines hohen Risikos für diese Bewohner. So versorgte z.B. die damalige Angestellte des heutigen Dorfladens, Sophie Förster, auf Veranlassung des Vorstandes, Josef Förster, abends bei Dunkelheit heimlich die Kaufmanns mit dem Allernötigsten. Diese Unterstützung haben die Kaufmanns wohl nie vergessen. So war Edith Kaufmann (verh. Berg) 1990 nochmals kurz zu Besuch bei Leni Förster geb. Stollenwerk aus Eicherscheid, Schwiegertochter von Josef Förster (s.o).

Die unerträglichen Diffamierungen und Verunglimpfungen mit den verbundenen Boykott-Aufrufen führten 1938 zum Ruin der Familie Kaufmann. In dem Jahr blieb Leo Kaufmann keine andere Wahl, sein Haus zu verkaufen.

Am 10.11.1938 wurde Leo Kaufmann schließlich verhaftet und zur Zwangsarbeit ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. Wohl aufgrund der Tatsache, dass Leo Kaufmann Teilnehmer des 1. Weltkrieges gewesen und an der Front verwundet worden war, erreichte seine Frau nach 6 Wochenseine Freilassung. Er mußte unterschreiben, Deutschland ohne Mitnahme von Vermögenswerten unverzüglich zu verlassen. Der Familie gelang dann Anfang 1939 die Flucht über die nahe belgische Grenze; er tauchte in Brüssel unter. Als Jude dort erkannt, war er nach der deutschen Besatzung Belgiens wieder auf der Flucht und überlebte erfreulicherweise den 2. WK mit falschen luxemburgischen Papieren.

Nach Kriegsende kehrte Leo Kaufmann 1949 alleine über wenige Monate nach Eicherscheid zurück, während seine Frau und Tochter in der Zeit in Mützenich wohnten. Sie hatten verständlicherweise nicht die Kraft, mit ihrem Mann/Vater an den damaligen Wohnort zurück zu kehren. Wenig später emigrierte die Familie dann in die USA.

Zur Erinnerung an die denunzierte Familie Kaufmann und gegen das Vergessen wurden am 10.05.2017 3 STOLPERSTEINE am früheren Wohnort im Beisein des Künstlers und Urhebers dieser Steine, Gunter Demnig, verlegt.

Ergänzende Informationen zur Familie Kaufmann

Von Jürgen Heiler – Mai 2020

  • Leo Kaufmann wurde am 18.06.1893 in Blumenthal als Sohn der Eheleute Simon Kaufmann (*22.09.1853, 04.01.1929) und Rosa geborene Rothschild (*21.05.1859, 26.09.1926) geboren.
  • Helene Kaufmann wurde am 30.05.1898 in Hellenthal geboren; Eltern: Abraham Salomon Kaufmann (*03.10.1857, 13.09.1938) und Jeannette Johanetta Kahn (*26.02.1871, 19.06.1898).
  • Beide Familien Kaufmann lassen sich auf die gemeinsamen Urahnen Salomon Ziemen (*1774, ✡ 1854) und Johanna Alter (*um 1795, ✡ 1863) zurückführen. Salomon nahm 1808 wegen der Weisung der franz. Regierung an jüdische Bürger, einen festen Vor- und Familiennamen zu führen, den Namen Salomon Kaufmann an.
  • Leos Großvater Cappel Kaufmann (*1819, 1890) beherbergte in seinem Haus in Blumenthal den Gebetsraum der jüdischen Gemeinde von 1861 bis zur  Einweihung der Synagoge 1904 (größte Synagoge der Eifel).
  • Leo und Helene heirateten am 31.08.1920 in Blumenthal. Ihr erstes Kind Erna wurde am 21.06.1921 geboren und starb am nächsten Tag
  • Edith Kaufmann wurde am 27.03.1923 in Aachen geboren und heiratete am 24.01.1948 in Etterbeek/Brüssel den Dr. Hans Berg, geboren am 29.12.1900 in Warburg/Westfalen, zuletzt wohnhaft als Wirtschaftsberater in Wuppertal-Elberfeld.
  • Die Familien Kaufmann und Berg verließen im Januar 1951 mit der SS Liberte (frühere SS Europa des Norddeutsche Lloyd) Europa und kamen am 05.02.1951 in New York an. Für Leo und Helene wird als Einschiffungshafen Le Havre angegeben.
  • Edith und Dr. Hans Berg waren in Begleitung von zwei Söhnen Berg (18 und 17 Jahre) unterwegs und stiegen in Southampton zu.
  • Leo Kaufmann, der schon zur Zeit seiner Inhaftierung 1938 schwer erkrankt war, starb am 23.12.1951 in New York.
  • Helene, Hans und Edith wurden 1956 in New York eingebürgert.
  • Dr. Hans Berg starb im Dezember 1967, Helene Kaufmann im Januar 1980, jeweils in New York.
  • Edith Kaufmann starb am 18.08.2013.
  • Helene, Hans und Edith liegen in einem Gemeinschaftsgrab auf dem Cedar Park Cemetery, Paramus, Bergen County, New Jersey, USA .
  • Leo hatte 11 Geschwister, von denen 6 Opfer der Verfolgung wurden:
    • Schwester Johanna wurde am 14.02.1941 in der Tötungsanstalt Hadamar getötet (Euthanasie).
    • Schwester Adele konnte nach Belgien fliehen, wurde aber von dort am 31.07.1943 nach Auschwitz deportiert, Todestag und -ort sind nicht bekannt.
    • Schwester Frieda wurde am 14.04.1942 von Magdeburg in das Warschauer Getto deportiert, Todestag und -ort nicht bekannt. Für Frieda und Ihren Ehemann wurden in Magdeburg Stolpersteine verlegt.
    • Bruder Adolf ist wahrscheinlich in Auschwitz getötet worden.
    • Schwester Hilde konnte ebenfalls nach Belgien fliehen, wurde aber von dort im April1943 nach Auschwitz deportiert, Todestag und -ort sind nicht bekannt, wurde für tot erklärt.
    • Schwester Sibilla ist verschollen, wurde für tot erklärt.

Quellen:

  • Walter Hanf: Juden im oberen Oleftal, Hellenthal 2014
  • Ancestry
  • Find a Grave
  • Jüdische Friedhöfe epidat
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